»Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Coaching, Psychotherapie und Beratung?«

Das ist eine mir nicht selten gestellte und eine gute Frage. Coaching, Beratung und Psychotherapie haben schließlich ganz Wesentliches gemeinsam. Es handelt sich jeweils um eine helfende professionelle Beziehung – und die Methoden sind teils voneinander entlehnt. Nicht nur aus diesen Gründen ist die Abgrenzung nicht immer leicht.

Gleichzeitig ist es gut und wichtig, zu fragen: »Worum geht es? Coaching? Therapie? Beratung?«

Man kann diese Frage auch anders stellen, und zwar: »Was brauchen Sie? Was brauchst du? Was ist jetzt und hier die bestmögliche Unterstützung?«

Ich beginne diese Erläuterung der Unterschiede nun einmal mit der »leichtesten« Form der Hilfe: der Beratung.


Beratung


Ratlosigkeit kennen wir alle: Dann wenden wir uns möglicherweise an einen Freund, eine Freundin – oder an eine Expertin, einen Experten: versorgen uns mit professioneller Beratung durch jemanden, die/der sich erwiesenermaßen auskennt in dem Bereich, um den geht.

Beratung bedeutet im Wesentlichen: Gespräch. Gemeinsam wird der Beratungsgegenstand quasi als »zu erforschendes Phänomen« betrachtet. Verschiedenste Methoden und Techniken kommen ggf. ins Spiel, wenn es zunächst darum geht, den Beratungsgegenstand – das Problem – zu erkunden, zu klären und zu definieren: sogenanntes systemisches Fragen, sokratischer Dialog... Unabhängig von der Methode – die Hauptsache ist: Es kommt ein gutes Gespräch zustande; das Anliegen ist tatsächlich angemessen ausgelotet, verstanden. Dies ist die erste wesentliche Etappe – und gelegentlich stellt sich hier heraus: Das Problem ist gar nicht das Problem; sondern es geht – eigentlich – um etwas ganz anderes. Ein Perspektivenwechsel. In der Paarberatung beispielsweise kommt es nicht selten zu solchen »Aha-Erlebnissen«.

Die Problemklärung und Definition ist – genau genommen – oftmals der erste Lösungsschritt. Es ist ein Schritt, der mit achtsamer Sondierung von Wünschen, Interessen und Zielen, Werten, Motiven und Prioritäten zu tun hat.

Liegt schließlich das Problem in seinen wesentlichen Aspekten »auf dem Tisch«, ist es effektiv definiert, dann geht es explizit um: Lösungen. Was sind die Optionen? Der Blick wird möglicherweise weit: kreativ, produktiv. Gut ist, auf dieser Etappe zunächst einmal tatsächlich, gedanklich, offen für alles zu sein: Je besser das Problem erkundet wurde – je tiefer das Problemverständnis, auch auf der Ebene der Wünsche, Werte und Prioritäten –, desto tauglichere Lösungsoptionen scheinen nun möglicherweise auf. Sie gedanklich durchzuspielen, ist ein nächster Schritt: Wie kann die Umsetzung funktionieren? Wo können besondere Herausforderungen liegen? Gibt es ein »Ja, aber«? Dann gilt es, diesen Einwand ernstzunehmen und zu untersuchen.

Beratung ist zwar ein strukturiertes Geschehen. Gleichwohl folgt eine Beratung nicht etwa rigide einem Schema – im Gegenteil: »Fortschritt verläuft spiralförmig«, heißt es in der Philosophie. Für Beratung bedeutet das beispielsweise: Der gemeinsame Prozess des Durchdenkens kennt durchaus Schleifen: Wenn etwa ein »Ja, aber« auftaucht, geht man vielleicht noch einmal auf die Ebene der Klärung von Motivation, Wünschen oder Prioritäten. Oftmals »hakt es« an genau diesem Punkt.

Gerade fiel schon das Stichwort: »Philosophie« – und eine prominente Beratungstechnik ist direkt der klassischen Antike entlehnt: der sokratische Dialog. Bewegt sich ein Beratungssetting dezidiert und explizit in einem philosophischen Rahmen, wird sie heute mitunter bezeichnet als »philosophische Praxis«. In der Lebensberatung kann grundsätzlich beides hilfreich sein: der philosophische und der psychologische Zugang.

Unabhängig von Beratungsansatz und Technik – entscheidend ist: Es kommt zu einem produktiven Gespräch mit dem Resultat, sich gut unterstützt zu fühlen – beispielsweise, der eigenen gewünschten Zukunft einen Schritt näher gekommen zu sein.


Coaching


Manchmal reicht Beratung allein nicht: Dann möchten wir jemanden nicht nur als Gesprächsgegenüber, sondern an unserer Seite: jemanden, der uns tatsächlich ein Stück weit auf unserem Weg begleitet. Der nicht nur das Problem kennt und gemeinsam mit uns die Lösung erarbeitet – das Ziel definiert –, sondern auch gemeinsam mit uns dorthin unterwegs ist. Ein Coach ist ein solcher Wegbegleiter – und mehr.

Ein Coach ist ein Trainer im besten Sinne: Er macht mit dir Motivations- und Zukunftsarbeit; er spornt dich an. Er kennt das Terrain, er kennt die für dich optimale Streckenführung und die Herausforderungen – wo es bergauf geht und wo vielleicht bergab, wo welches Tempo angemessen ist, welchen Konditionsgrad es braucht – und wie du entsprechend trainierst. Um im Bild zu bleiben: Er kennt die für dich idealen Methoden – von »Intervalltraining« bis »Regenerationslauf«; er hat im Notfall Getränke dabei und eine Banane... Und bei deinem Zieleinlauf steht er an der Linie: mit aufrichtigem Stolz auf dich – und einem Handtuch.

Coaching bedeutet: Unterstützung bei Prozessen des Lernens, der Veränderung, der Selbstentfaltung – etwa bei der Ausbildung und Entwicklung bestimmter wünschenswerter Skills. Der Methodenpool dafür ist heute umfassend und vielfältig: reich gefüllt mit systemischen, ganzheitlichen, lösungsfokussierten Instrumenten – zum Beispiel etwa das Zürcher Ressourcen Modell.


Psychotherapie


»Therapie« kommt vom griechischen »therapeia«: Dienen, Pflegen, Behandeln, Heilen. Psychotherapie meint: den – pflegenden, behandelnden, heilenden – Dienst am Menschen über die Psyche.

Anders als »Beratung« oder »Coaching« ist der Begriff der Psychotherapie gesetzlich klar abgegrenzt und geschützt. In Deutschland bedarf die Ausübung von Psychotherapie entweder der ärztlichen Approbation oder der Approbation als psychologischer Psychotherapeut oder der Erlaubnis nach Heilpraktikergesetz. Psychotherapie ist Heilkunde im Sinne dieses Gesetzes: »...jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen...«. Hier wird klar, was Psychotherapie von Beratung und Coaching unterscheidet: Es geht um eine Behandlung zur Linderung oder Minderung von Leid, von innerer Not – um Gesundung. Konkrete Anwendungsbereiche von Psychotherapie, die wir alle aus dem Alltag kennen, sind etwa: Angst und Schmerz, unhaltbar schwere Trauer, Depressionen, Zwänge – oder auch Belastungen etwa durch Störungen wie den Tinnitus oder durch schwere körperliche Erkrankungen wie Krebs.

Das methodische Feld der Psychotherapie ist heute vielgestaltig wie nie zuvor: Es reicht von den Ausdifferenzierungen der klasssischen kassenfinanzierten Verfahren – der Psychoanalyse, der Tiefenpsychologie, der Verhaltenstherapie – bis zu den humanistischen Ansätzen wie der Gesprächspsychotherapie nach Rogers und ihren fruchtbaren Weiterentwicklungen in Richtung: Ressourcenstärkung, achtsame Wahrnehmung, Begegnung. Vielleicht lässt sich heute erst recht feststellen, was der großartige Ronald D. Laing – der vor allem den Begriff der Erfahrung in den Mittelpunkt seiner theoretischen und praktischen Arbeit rückte – schon 1967 so formulierte:

»Während der letzten zwanzig Jahre hat sich die Psychotherapie in Theorie und Praxis komplex entwickelt. ...
In der Praxis der Psychotherapie hat gerade die große Vielfalt der Methoden die essentielle Simplizität deutlich gemacht.
Unerlässliche Elemente der Psychotherapie sind: ein Therapeut, ein Patient, Ort und Zeit (regelmäßig und zuverlässig.)«

Worauf Laing hier abzielt, bringe ich für mich unter anderem etwa so auf den Punkt: Ein wesentlicher Unterschied zum Coaching und Beratung liegt in dem Ausmaß an Haltgebung, das die Therapeutin zur Verfügung stellt.


Klare Grenzen?


Eine klare Abgrenzung zwischen Beratung, Coaching und Therapie ist nicht in jedem Fall einfach. Die Deutsche Gesellschaft für Beratung nennt beispielsweise in ihrem Grundlagenpapier zum Beratungsverständnis explizit auch kurative und rehabilitative Beratungsaspekte – was zeigt, wie schwierig die klare theoretisch-definitorische Grenzziehung sein kann. Und Ähnliches gilt auch für die Praxis. Wenn beispielsweise eine Grenze zwischen Beratung und Coaching auf der einen, Psychotherapie auf der anderen Seite formaliter gekoppelt ist an die Grenze zwischen »gesund« und »krank«, dann gilt es gleichzeitig, sich dessen bewusst zu sein: Diese Grenze ist schon allein deshalb diagnostisch mitunter schwer zu ziehen, weil psychische Gesundheit und Krankheit oftmals nicht klare Gegensätze, sondern ein Kontinuum darstellen: Grenzen fließen, sind durchlässig, sind interpretationsabhängig.

Ob Coaching, Beratung oder Therapie: Wichtig ist Verständigung und Einverständnis hinsichtlich des Anliegens und der Zusammenarbeit – also die einvernehmliche Antwort auf die Frage: Worum geht es? Was ist das Ziel?


Bilderbogen zum Coaching



Literatur


Ronald D. Laing, Phänomenologie der Erfahrung. Suhrkamp Verlag, 4. Aufl. 1971, S. 313.

Bildnachweis, Collage: Einzelbilder: Datenbank www.stockata.de | Collage/Montage: © A. Gerdes


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